Mittwoch, 12. August 2009
peacecamp 2009 „Let’s talk peace in Reibers“
34 jüdisch-israelische, jüdisch-arabische, ungarische und österreichische Teenager erzählen einander, wie es einmal war.
Das siebte peacecamp war, wie alle Vorigen, absolut einzigartig.

34 Jugendliche waren zusammengekommen, um in der Beschaulichkeit des kleinen Dorfes Reibers im Waldviertel über den Frieden zu sprechen, aber auch darüber, was ihn verhindert. Wie jeden Samstag überall in Österreich ertönte auch hier an beiden Samstagen gegen 12 Uhr die Feuerwehrsirene. Ein Probealarm, auf den die Jugendlichen vorbereitet waren, ein kleines, für die meisten Menschen, die ihn hören, belangloses, für unsere Jugendlichen aber schwer zu ertragendes, ja traumatisierendes Ereignis. Trotz der Vorwarnung, trotz unserer Versicherung, dass ein "Alarm" ertönen würde, der absolut keine Gefahr ankündigt, brachen einige der israelischen TeilnehmerInnen in Tränen, ja in schiere Panik aus. Zu nah waren die Erinnerungen an den täglichen Bombenalarm, an die so kurzen 20 Sekunden, die er ließ, um in den Bunker zu laufen, ehe die Raketen einschlugen. Zu viele Erinnerungen an das Aufheulen von Sirenen, an einschlagende Raketen, das Heranrasen von Einsatzfahrzeugen nach Detonationen im Supermarkt, in der Disco, in Autobussen, bei Feiern, zu nah das Erleben von Krieg und Terror. Ein für die beiden europäischen Gruppen kaum nachvollziehbares Erleben, das aber die beiden Gruppen aus Israel in ganz besonderer Weise miteinander verband.


Lernen wir Geschichte

An diesem peacecamp stand das Erzählen von Geschichten im Mittelpunkt. An jedem Tag ein Workshop „Zeitgeschichte“. Der Reihe nach kam jede Gruppe dran und präsentierte ihr Stück Zeitgeschichte, jenes Stück Geschichte, das sie mit der Nachbarsgruppe, schließlich aber mit allen anderen am peacecamp vertretenen Gruppen verband. Zur Einleitung die Auseinandersetzung der österreichischen Gruppe mit der Frage „Was geht uns Israel/Palästina an?“ – ein mutiger wie aufschlussreicher Bericht über die Vorläufer des Nationalsozialismus in Österreich, über die Shoah und die Anfänge des Zionismus. Das jüdische Narrativ des israelisch-palästinensischen Konflikts folgte der Darstellung der palästinensischen Sicht der Dinge. Die Ungarn erzählten über die großen Veränderungen im Europa der Nachkriegsjahre – Fall des Eisernen Vorhangs, Zusammenwachsen beider Teile Europas, Zusammenschluss der Staaten der Europäischen Union, aber auch über das neuerliche Aufflackern einer rechtsradikalen, ausländerfeindlichen und antisemitischen Partei im heutigen Ungarn. Es war beeindruckend zu sehen, mit wie viel Ernst sich diese Jugendlichen schon im Vorfeld der Begegnung für ihre Präsentationen vorbereitet hatten und mit wieviel Interesse sie den Darstellungen der einzelnen Gruppen folgten.

Psychoanalytisch geleitete Diskussionen in kleinen Arbeitsgruppen wie auch im Plenum („Large Group“) dienten dem emotionellen Verarbeiten des Gehörten und ermöglichten es, die eigenen und „fremden“, bewussten wie unbewussten Gefühlen aufzuspüren, die die verschiedenen Geschichtsauffassungen auslösten. Hier kam es zu oft heftigen wie tränenreichen Überraschungsmomenten, dem Erkennen, dass das „Fremde“ gar nicht immer außerhalb sondern in uns selbst beheimatet sein kann, dass es aber bequemer scheinen mag, verpönte Eigenschaften, Verhaltensweisen oder Einstellungen bei „Anderen“ zu orten und sie dort, in diesen „Anderen“, „Fremden“ zu verfolgen. Ehrlich und ernsthaft war die Auseinandersetzung mit schwierigen Fragen - dem Platz des Einzelnen in der Gesellschaft, der notwendigen Anpassung oder Unterwerfung an die in jeder Gesellschaft geltenden Werte und Regeln, dem Mut zum Ungehorsam; kompromisslos war die Bereitschaft, eigene xenophobe Einstellungen zu orten, und auf ganz schwierige Fragen individuelle Antworten zu finden – etwa auf die Frage des Umgangs mit jenen, die anders sind und anders handeln als wir, oder deren Beitrag an die Gesellschaft ein anderer ist als der, den die meisten ihrer Mitbürger leisten wollen oder können.




Frieden: Mission Impossible?

„Wir wurden in einen Konflikt hineingeboren, der aber gar nicht unserer ist!“, war eine der Erkenntnisse, zu denen die Jugendlichen im Verlaufe dieser zehn Tage gelangt sind. „Es ist der Konflikt unserer Eltern und Großeltern; wir aber sind eine neue Generation und haben das Recht, ja die Aufgabe, Wege aus diesem Konflikt zu finden und ihn zu beenden.“ Wie schwierig das ist und wie lange das dauern kann, zeigt die Geschichte aller einmal durch Krieg und Feindseligkeiten zerstrittenen Völker und Nationen. Tradierte Vorurteile, weitergegebene Ressentiments, Solidarität mit den Eltern, der Wunsch, altes Unrecht zu rächen, vor allem aber das Gefühl, den Eltern das Weiterführen des Krieges geradezu schuldig zu sein: Dies sind die Hürden, die in der Gegenwart den Weg zu einer friedlicheren Zukunft verstellen. „Ihr wollt, dass wir streiten“, sagte ein Teilnehmer zum Gruppenleiter, „wir aber haben eine echte Verbindung zueinander hergestellt, haben einander wirklich lieb gewonnen.“

Sie haben einander ihre Geschichten erzählt; sie haben einander zugehört; sie konnten für das Leiden der jeweils Anderen ihr Ohr, ihr Herz öffnen: „Wir bleiben sicher in Kontakt… Ich kann nicht einmal daran denken, dass wir Feinde sein sollen.“

Evelyn Böhmer-Laufer
Reibers, 13. Juli 2009
http://peacecamp2009.blogger.de


Unser Dank gilt der Karl Kahane Foundation, dem Zukunftsfonds der Republik Österreich sowie Frau Martina Maschke und dem Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur.

Dieses Projekt wurde mit Unterstützung der Europäischen Kommission finanziert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung trägt allein der Verfasser; die Kommission haftet nicht für die weitere Verwendung der darin enthaltenen Angaben.

... comment